Gedanken zum Psalm 146

Es fällt leicht, das Gotteslob auf den Lippen zu haben, wenn man im Überfluss und ohne Sorgen lebt. Ob solches Lob aus tiefem Herzen kommt, ist eine andere Frage. Oft genug meint es ja nur: Danke, Gott, dass es mir so gut geht, wie ich das erwarte. Die anderen sind nicht im Blick. Der reiche Mann, von dem Jesus erzählt (Lukas 16, 19 ff.), hat sicher vor dem Festessen das Dankgebet gesprochen, wie sich das gehörte; den armen Lazarus an seiner Hintertür hat er übersehen.

Der Dichter des 146. Psalms singt ein Lob anderer Art. Man kann ihm abspüren, dass die Erfahrung eines schweren Lebens mitschwingt. Er singt das Lob Gottes aus der Perspektive derer, die täglich um ein menschenwürdiges Leben kämpfen müssen. Er weiß, wie wenig dabei Verlass auf die Zusagen der Mächtigen ist, wie schnell menschliche Pläne scheitern, wie von einem Tag zum andern alles anders werden kann.
Er hofft auf Gottes Treue, die nicht nur den Leistungsträgern und „Glückspilzen“ gilt, sondern vor allem denen, die ohne Hilfe verloren sind: Denen, die in Ländern ohne funktionierendes Gesundheitssystem leben, in Flüchtlingslagern Eingepferchte, Unterdrückte, Hungernde, Gefangene, Behinderte, am Leben Verzweifelte, sozial Benachteiligte.
Dass man diesen Psalm nicht beten kann, ohne sie alle zu nennen und damit an sie zu denken, macht deutlich: Man kann Gott nicht wirklich loben, wenn man die Augen vor denen verschließt, denen seine Liebe und Treue besonders gilt. Der französische Bischof Jacques Gaillot schreibt: „Wer in Gott eintaucht, taucht neben den Armen auf.“

Ulrich Meisel

Hier sind die treuen Sinnen, die niemand Unrecht tun,
all denen Gutes gönnen, die in der Treu beruhn.
Gott hält sein Wort mit Freuden, und was er spricht, geschicht;
und wer Gewalt muss leiden, den schützt er im Gericht.

Er weiß viel tausend Weisen, zu retten aus dem Tod,
ernährt und gibet Speisen zur Zeit der Hungersnot,
macht schöne rote Wangen oft bei geringem Mahl;
und die da sind gefangen, die reißt er aus der Qual.

Paul Gerhardt 1653